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Berlin beruft Islamisten in Kommission gegen antimuslimischen Rassismus

Natalia Loinaz von Inssan und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) Natalia Loinaz von Inssan und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD)
Eine Mitarbeiterin von Inssan und Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD)
Quelle: picture alliance / Jörg Carsten
Mohamad Hajjaj wurde vom Land Berlin in die „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ berufen. An seinen Verein Inssan flossen rund 1,3 Millionen Euro aus Steuergeldern. Doch Hajjaj war in Vereinen aktiv, die vom Verfassungsschutz als islamistisch bewertet werden.

Am 26. Februar nahm die vom Land Berlin eingesetzte „Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus“ ihre Arbeit auf. Das Gremium soll bis zum Frühjahr 2022 „Empfehlungen für eine Weiterentwicklung der Präventionsarbeit zu antimuslimischem Rassismus“ erarbeiten, teilte die zuständige Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung des Senators Dirk Behrendt (Grüne) damals mit.

Zwei der sechs Mitglieder wurden vom Islamforum der Integrationsbeauftragten entsandt: Lydia Nofal und Mohamad Hajjaj, die Vorsitzende und der Geschäftsführer des islamischen Vereins Inssan.

Mohamad Hajjaj vom Zentralrat der Muslime posiert anlässlich der geplanten Menschenkette «Hand in Hand gegen Rassismus» am 14.06.2016 in Berlin. Die Menschenkette soll am 17.06.2016 ab 14 Uhr auf dem Kreuzberger Oranienplatz stattfinden. Foto: Jörg Carstensen/dpa
Mohamad Hajjaj
Quelle: picture alliance / dpa

WELT-Recherchen zeigen, dass Inssan und die genannten Personen Bezüge zu islamistischen Organisationen aufweisen, die teilweise vom Verfassungsschutz beobachtet wurden oder werden. Dennoch wird Inssan seit Jahren mit hohen Beträgen aus Bundes- und Landesmitteln gefördert. Gegründet wurde der Berliner Verein im Jahr 2002, nach eigenen Angaben verfolgt er das Ziel, „die Entwicklung eines deutschsprachigen Islam zu fördern“.

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Nofal und Hajjaj sind in zahlreichen Gremien und Organisationen aktiv. Beide gehören dem Landesvorstand des Zentralrats der Muslime in Berlin an, beide sind Mitglied im SPD-Arbeitskreis muslimischer Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten. Nofal wurde zudem von der Berliner Senatskanzlei in den Beirat des Instituts für Islamische Theologie an der Humboldt-Universität zu Berlin berufen.

Aktivitäten gab und gibt es jedoch auch in anderen Vereinen. So wurde Hajjaj im Jahr 2014 in einem Interview mit dem Internetportal web.de als Leiter des Hauptstadtbüros der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland (PGD) zitiert. Zu diesem Verein teilte die Berliner Innenverwaltung im Herbst 2014 mit, dass sie als Organisation von Anhängern der islamistischen Terrororganisation Hamas gelte. Die Hamas werde in Deutschland durch die PGD repräsentiert, heißt es im Hamburger Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2016.

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Hajjaj teilte im Jahr 2013 einen Offenen Brief der PGD an die Bundesregierung – eine Minute nach der Veröffentlichung
Quelle: Facebook-Profil von Mohamad Hajjaj

Auf Nachfrage bestreitet Hajjaj, bei der Palästinensischen Gemeinschaft in Deutschland aktiv gewesen zu sein. „Ich bin und war mit diesem Verein in keinster Weise verbunden“, teilte er mit. Die Journalistin des Texts habe seine Position in einer Studentengruppe falsch zitiert. WELT liegt eine Mail von Hajjaj vor, in der er seine Aussagen aus dem Interview gegenüber der Journalistin autorisierte. Verfasst wurde sie von einer Mailadresse, die zur Homepage der PGD gehört.

Auch die türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte Hajjaj im Januar 2014 mit einer anderen Schreibweise des Vornamens als zugehörig zur PGD, anlässlich einer Demonstration gegen die Belagerung des palästinensischen Flüchtlingslagers Yarmouk in Syrien. Im Artikel gehe es nicht um seine Person, teilte Hajjaj dazu mit. „Ich kenne tatsächlich den dort genannten Muhammad Hajjaj. Ich bin jedoch Mohamad Hajjaj.“

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Als WELT ihn anschließend mit einem Foto von genau dieser Demonstration aus dem Januar 2014 konfrontierte, das von der PGD auf Facebook gepostet wurde und auf dem Hajjaj zu sehen ist, teilte dieser mit, dass die Demonstration nicht von der PGD organisiert worden sei und er als Sprecher einer Studentengruppe daran teilgenommen habe. WELT liegt ein Flyer der PGD vor, auf dem zur Kundgebung an dem besagten Tag aufgerufen wird.

Auf die Frage, ob Hajjaj noch immer stellvertretender Vorsitzender des Teiba-Kulturzentrums sei, antwortete dieser nicht. Ein aktueller Abruf des Vereinsregisters beim Amtsgericht Charlottenburg zeigt, dass Hajjaj diese Position weiterhin innehat. In einer Handreichung sowie im Bericht des Berliner Verfassungsschutzes aus dem Jahr 2016 wird das Teiba-Kulturzentrum unter den Punkten „Islamistische Moscheevereine und Hilfsorganisationen“ beziehungsweise „Verbindungen von Berliner Vereinen zur Muslimbruderschaft und Islamischen Gemeinschaft in Deutschland“ genannt.

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Im September 2010 interviewte die Deutsche Welle einen Aktivisten der „Deutschen Initiative zum Bruch der Gazablockade“, einmal bezeichnet als Mohamed Hajjaj und einmal als Mohammed Hajja. Auf Nachfrage teilte Hajjaj mit, dass er an der Initiative nicht partizipiert habe, diese allerdings von seiner Studentengruppe „medial verfolgt“ wurde. Die Nachfrage, ob er bestreitet, der Deutschen Welle 2010 das Interview gegeben zu haben, ließ er unbeantwortet.

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Hajjaj teilte ein Fake-Einstein-Zitat: „Es wäre von größter Traurigkeit, wenn die Zionisten (Juden) den Palästinensern viel von dem antun, was die Nazis den Juden angetan haben“
Quelle: Facebook-Profil von Mohamad Hajjaj

Für das Islamforum Berlin, das Hajjaj und Nofal in die Expert*innenkommission zu antimuslimischem Rassismus entsandte, ist die Integrationsbeauftragte des Berliner Senats zuständig. Dort teilte eine Sprecherin mit: „Die Entscheidung über die Entsendung von Experten in die Expert*innenkommission Antimuslimischer Rassismus lag bei den muslimischen Vertreter*innen.“ Inhaltlich machte sie zu den Personalien keine Angaben. Die für die gesamte Kommission zuständige Justizverwaltung verwies lediglich auf die Integrationsbeauftragte.

„Inssan kann man in seiner Bedeutung gar nicht überschätzen“, sagte die Islamismusexpertin Sigrid Herrmann-Marschall. Der Verein habe in den vergangenen Jahren ein großes Netzwerk aufgebaut. „Lydia Nofal ist die inkorporierte Doppelstrategie und wirkt als Mittlerin zwischen der Mehrheitsgesellschaft und dem Aktionsgeflecht der Muslimbruderschaft“, so Herrmann-Marschall weiter.

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Nofal ließ eine Anfrage zu einer Bewertung dieser Vorwürfe unbeantwortet. Bereits im Jahr 2007 distanzierte sie sich von der Muslimbruderschaft. „Wir legen Wert darauf, dass wir von irgendwelchen Ideologien und Bewegungen unabhängig bleiben“, teilte Mohamad Hajjaj zu den Vorwürfen mit.

Auch Inssan selbst war bereits Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. So wurde der Verein von 2007 bis 2009 im Berliner Bericht als muslimbrudernah geführt. Im April 2018 teilte Berlins Innenverwaltung mit, dass einzelne Inssan-Mitglieder „personelle Verbindungen“ zum Islamischen Kultur- und Erziehungszentrum Berlin (IKEZ) hätten – laut Berliner Verfassungsschutzbericht von 2017 ein „Berliner Treffpunkt von Hamas-Anhängern“. Sowohl das IKEZ als auch Inssan und das Teiba-Kulturzentrum gehören dem Islamforum Berlin an, das 2005 auf Initiative des damaligen Berliner Integrationsbeauftragten gegründet wurde.

Der Verein Inssan, der dem Dachverband Zentralrat der Muslime angehört, wird seit dem Jahr 2010 mit hohen Summen staatlich gefördert. So erhielt das Inssan-Projekt „Netzwerk gegen Diskriminierung und Islamfeindlichkeit“ im Rahmen des Berliner Landesprogramms „Demokratie. Vielfalt. Respekt“ in den Jahren 2010 bis 2020 insgesamt 589.922 Euro. Seit dem Jahr 2013 steigen die jährlichen Zahlungen. Für das Jahr 2021 beträgt die Plansumme 116.599 Euro, teilte ein Sprecher der zuständigen Justizverwaltung mit.

Das Inssan-Projekt „Mentor_innen für Flüchtlinge“ wurde zwischen 2016 und 2019 durch die Integrationsbeauftragte des Senats mit insgesamt 220.770 Euro gefördert. Die Beauftragte fördert seit dem Jahr 2020 das Inssan-Projekt „Aktive Stärkung muslimischer Akteur*innen“, bislang mit insgesamt 164.540 Euro.

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Im Juli 2019 teilte die Justizverwaltung mit, dass Inssan deutlich gemacht habe, dass der Verein sich „für die Werte und Normen des Grundgesetzes beziehungsweise für die freiheitliche demokratische Grundordnung einsetzt“. Zwischen 2017 und 2019 flossen auch Bundesmittel: Das Inssan-Projekt „Nicht ohne meinen Glauben!“, bei dem es laut Bundesregierung um „Empowerment von jungen Musliminnen und Muslimen zwecks Umgang mit Diskriminierungserfahrungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt“ ging, wurde vom Bundesfamilienministerium mit insgesamt 284.104 Euro gefördert. Insgesamt wurde Inssan also bislang mit staatlichen Geldern in Höhe von 1.375.935 Euro gefördert.

Inssan ist zudem Mitgründer der Claim-Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit. Claim wurde in den Jahren 2017 bis 2019 vom Bundesfamilienministerium mit insgesamt 727.984 Euro gefördert. Zudem wurden Claim im Rahmen des Kompetenznetzwerks Islam- und Muslimfeindlichkeit in den Jahren 2020 und 2021 insgesamt 959.998 Euro bewilligt, ebenfalls vom Bundesfamilienministerium. Durch Nina Mühe ist Claim zudem im Unabhängigen Expertenkreis Muslimfeindlichkeit vertreten, der im September 2020 von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) eingerichtet wurde. Nach WELT-Informationen war auch Nina Mühe Mitglied bei Inssan.

Carsten Frerk, Leiter der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland, beobachtet Inssan schon lange. „Es ist beeindruckend, wie erfolgreich der Verein mit seiner Lobbyarbeit ist und die staatliche Förderung immer weiter ausweiten kann“, sagte er WELT. „Der Staat sollte das Thema Diskriminierung ernst nehmen. Dazu sollte er sich allerdings nicht an Lobbyverbände des politischen Islam richten.“ Inssan dürfe nicht weiter mit einem staatlichen Gütesiegel auftreten.

Das neueste Werk von Inssan wurde in der vergangenen Woche veröffentlicht. Der Verein präsentierte die „Fallzahlen 2020 zu antimuslimischem Rassismus in Berlin“. Mit 228 Vorfällen sei eine „gefährliche Entwicklung“ dokumentiert worden. Die Meldungen werden dabei schriftlich oder online über einen Meldebogen an den Verein herangetragen. Auf Nachfrage, wie die Meldungen überprüft werden, teilte die Projektleiterin Zeynep Cetin mit, dass die Betroffenen eine Mailadresse angeben müssten. „Die Meldungen werden von uns validiert.“

Auf Nachfrage präsentierte das Netzwerk sechs Meldebeispiele. Diese zeigen eindeutig diskriminierende Vorfälle, vier der Fälle beziehen sich allerdings auf die ethnische Herkunft der Betroffenen, nur zwei explizit auf die Religionszugehörigkeit.

Katharina Eggers vom Kompetenzzentrum Islamismus der Aktion 3. Welt Saar kritisiert, dass die Dokumentation wissenschaftlichen Ansprüchen nicht gerecht werde und tendenziös sei. Einen leichten Rückgang der Fallzahlen im vergangenen Jahr erklärte Inssan in einer Pressekonferenz damit, dass aufgrund der Corona-Pandemie nur eingeschränkt Empowerment-Workshops durchgeführt werden konnten. Viele Betroffene seien nicht ausreichend sensibilisiert, um Diskriminierung als solche zu erkennen.

Eggers kritisiert: „Hier werden potenziell Betroffene zu unmündigen Kindern erklärt, denen mit pädagogischen Mitteln erst eingetrichtert werden muss, wann sie sich diskriminiert zu fühlen haben.“ Emanzipatorische Islamkritik werde von Inssan zudem „mit der Hetze rechter Moslemhasser gleichgesetzt“.

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