Der andere Blick

Burka und Nikab sind die Wahrzeichen einer totalitären Ideologie – deshalb gehören sie verboten

Der Islamismus ist keine abstrakte, sondern eine reale Gefahr. In seinem Namen werden Menschen ermordet und drangsaliert. Sein Symbol ist die Vollverschleierung, die deshalb keinen Platz in einer freiheitlichen Gesellschaft hat.

Eric Gujer 351 Kommentare
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In knapp drei Wochen befindet die Schweiz darüber, ob eine Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum künftig verboten sein soll.

In knapp drei Wochen befindet die Schweiz darüber, ob eine Verhüllung des Gesichts im öffentlichen Raum künftig verboten sein soll.

Peter Klaunzer / Keystone

Die westliche Welt fühlt sich bedroht. Es vergeht kaum ein Tag ohne Klage über den Niedergang der liberalen Demokratie und den Vormarsch autoritärer Mächte. Die Warner erhielten mit der Wahl von Donald Trump gewaltig Auftrieb. Inzwischen stehen Xi Jinping oder Wladimir Putin für die vielen Feinde der offenen Gesellschaft. Seltsam nur, dass die virulenteste, weil für die westliche Demokratie unmittelbar spürbare Gefahr deutlich seltener Erwähnung findet: der Islamismus.

Trump wurde abgewählt. Das chinesische Modell bleibt zu fremdartig, als dass es wirklich attraktiv sein könnte; und Putin ist so schwach, dass er nicht wagt, den Namen seines Kritikers Alexei Nawalny in den Mund zu nehmen. Aber der radikale, politisch instrumentalisierte Islam ist längst unter uns. Er fordert immer wieder Todesopfer wie beim Terroranschlag in Wien. Seine Anhänger – Migranten wie Konvertiten – zählen nach Hunderttausenden, und ihr Einfluss wächst im Verborgenen. Der Islamismus ist unterdessen eine Grundstimmung, die sich auch ohne Organisationen wie den Islamischen Staat oder die Kaida verbreitet.

Die Lehrer in Frankreich haben Angst

Nicht alle westeuropäischen Staaten sind gleichermassen betroffen. In Frankreich berichtet die Hälfte der Lehrer in Quartieren mit hohem Migrantenanteil, dass muslimische Schüler gegen Lehrstoff in Fächern wie Biologie und Geschichte protestiert haben. Ebenfalls die Hälfte der Lehrerschaft gibt an, schon Selbstzensur geübt zu haben, um unbehelligt zu bleiben. Viele jüdische Schüler haben die öffentlichen Schulen verlassen, da sie sich nur unter ihresgleichen sicher fühlen.

Solche Zustände herrschen in der Schweiz oder Deutschland noch nicht, aber die Vorboten lassen sich nicht übersehen. In Berlin werden jüdische Schüler beleidigt und attackiert. Ein elfjähriger Bub bedrohte seine Lehrerin mit den Worten, er werde dasselbe machen wie der Mörder des französischen Lehrers Samuel Paty. Dieser war enthauptet worden, weil er im Unterricht über Mohammed-Karikaturen diskutieren liess.

In der Schweiz, in Lugano und Morges, ereigneten sich Messerattacken mit terroristischem Hintergrund, und zwei junge Männer aus Winterthur wurden wegen ihrer Kontakte zum Attentäter von Wien festgenommen.

Die liberale Demokratie reagiert auf diese Fälle meist abwiegelnd und beschwichtigend, als sei es ihr peinlich, dass sie die eigenen Ideale von körperlicher Unversehrtheit, freier Meinungsäusserung und dem Recht auf Religionskritik nicht mehr in vollem Umfang garantieren kann.

Schlimmer noch, Teile der politischen Klasse, der Medien und der Wissenschaft haben sich längst von der Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft abgekoppelt, die mit Angst und Unverständnis auf die schleichenden Veränderungen reagiert. Man hält es für klug, die Sorgen der Bürger mit Schlagworten wie «gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit» abzutun und damit die Opfer der gesellschaftlichen Entwicklung zu Tätern zu erklären.

Kein Wunder also, dass sich die Bevölkerung dort, wo sie es kann, gegen die Entwicklung wehrt und ihrerseits versucht, Zeichen zu setzen. So kann in der Schweiz die Volksinitiative für ein Verbot von Burka, Nikab und anderen Formen der Verhüllung auf eine Mehrheit rechnen. Die Regierung lehnt die Initiative ab. Die meisten Parteien sind gespalten, wobei auch hier die Basis dem Verbot positiver gegenübersteht als die Führung. Wieder einmal tut sich zwischen Eliten und Volk ein Graben auf, den Populisten ausnutzen.

Burkaverbot hat sehr gute Chancen

Umfrageresultate bezüglich der Abstimmung vom 7. März
Ja
Eher Ja
Keine Angabe
Eher Nein
Nein

Wenn die Behörden entschlossener gegen die Islamisten vorgingen, und zwar nicht nur gegen die gewaltbereiten, sondern auch gegen die Einwanderer der zweiten und der dritten Generation, die sich still und unauffällig ihre Enklaven geschaffen haben – vielleicht bräuchte es dann solche Initiativen nicht.

Demagogen wollen die Schwäche des Westens beweisen

Zu lange haben sich die westlichen Demokratien darauf verlassen, dass mit dem Gezeitenwechsel von 1989, dem Fall der Berliner Mauer und dem Untergang des Ostblocks, der Triumph des Liberalismus unvermeidlich sei. Sie übersahen, dass russische, chinesische und andere Autokraten alles tun würden, um dem Datum seine Faszination zu nehmen und es im Gegenteil in ein Symbol von Schwäche und Dekadenz zu verwandeln. Ausserdem übersahen sie, dass es noch ein ganz anderes Epochenjahr gab, das im Gegensatz zu «1989» nichts von seiner Strahlkraft eingebüsst hat.

Im Jahr 1979 fielen drei Ereignisse zusammen, welche die muslimische Welt tief verändert haben. In Iran stürzte die schiitische Revolution den Schah und etablierte ein islamistisches Regime. In Saudiarabien stürmten sunnitische Fanatiker die heiligen Stätten von Mekka; bis zu deren Rückeroberung vergingen Wochen. Das saudische Königshaus erlitt einen Gesichtsverlust, den es seither wettzumachen versucht durch eine islamistische Revolution von oben, nämlich die weltweite Förderung und Finanzierung der reaktionärsten Schule des Islam.

In diesem Jahr begann zudem die sowjetische Invasion Afghanistans, die zum grössten militärischen Erfolg der Islamisten führen sollte. Das Selbstvertrauen, welches sie da gewannen, trug sie bis in die Twin Towers von Manhattan.

«1979» radikalisierte Sunniten wie Schiiten. Seither gewinnen die puritanischen Kräfte an Einfluss auf das öffentliche Leben. Sichtbarster Ausdruck dieser Kräfteverschiebung ist die Verschleierung, die zum Siegeszeichen der Ultrakonservativen selbst in vormals religiös eher toleranten Ländern wie Ägypten wurde.

Der weibliche Körper ist zwar das Objekt der Machtdemonstration, aber diese geht weit über die Unterdrückung der Frau hinaus. Bis sie zum Emblem der islamischen Revolution aufstieg, war die Ganzkörperverschleierung nie ein kodifizierter Bestandteil des Glaubens, sondern nur eine gewohnheitsmässige Praxis in einzelnen Regionen. Der Nikab ist heute kein religiöses, sondern ein politisches Statement.

Es ist daher alles andere als verbohrt, wenn die europäischen Gegner des Islamismus ebenfalls bei Nikab und Burka ansetzen. Es zeugt nicht gerade von Weitblick, dass ausgerechnet Liberale den epochalen «Krieg der Ideen» (so Paul Berman in seiner Studie «Terror und Liberalismus») ignorieren und sich auf eine rein individualistische Argumentation versteifen. Etwas lahm pflegt es zu heissen, die Gesellschaft müsse den Willen der Frau respektieren und dürfe keine Kleidervorschriften erlassen.

Vom Kopftuch bis zum Ganzkörperschleier

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Dabei zeigt der liberale Staat nie Scheu, regulierend einzugreifen, wenn er dies etwa im Interesse der Sicherheit oder zum Schutz des Eigentums für geboten hält. Die liberalen Urväter Hobbes und Locke schufen mit der Vertragstheorie geradezu das geistige Rüstzeug für die Ermächtigung des Staates gegenüber allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Das gelang so überzeugend, dass seine intelligenteren Kritiker dem Liberalismus vorwerfen, er habe den Staat erst gross gemacht, den er inzwischen einzuhegen versuche.

Liberale haben in Religionsfragen eine natürliche Scheu

Drei ebenso mörderische wie totalitäre Ideologien haben ihren Ursprung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts: Faschismus, Kommunismus und Islamismus. Für alle drei war und ist der Liberalismus der Hauptgegner. Er zeigte gegenüber den beiden kollektivistischen und – wie er selbst – säkularen Weltanschauungen Selbstbehauptungswillen. Beim Islamismus hingegen besass er stets einen blinden Fleck, eine Art seltsamer Beisshemmung. Vermutlich, weil der Liberalismus entstanden war, indem er die Religion in die geschützte Zone individueller Lebensführung verwiesen hatte.

Der säkulare Staat weiss generell nicht viel mit Glauben anzufangen. Er unterschätzt daher die Bedrohung, die von politischer Theologie ausgehen kann, und zieht sich auf die fade Position eines «Anything-goes-Liberalismus» zurück.

Mit dem Satz, der Islam gehöre zu Deutschland, löste der deutsche Bundespräsident Christian Wulff eine Kontroverse aus. Aber er hatte recht. Der Islam gehört auch zur Schweiz, weil Muslime hier dauerhaft leben und eingebürgert sind. Das Minarettverbot leugnete dieses Faktum und versuchte, den Islam als Ganzes ins Abseits zu drängen. Das bleibt bis heute ein Unrecht.

Weil der Islam aus Europa nicht mehr wegzudenken ist, muss dort eingegriffen werden, wo einzelne Strömungen staatsgefährdende Ziele verfolgen. Das erfordert ein Mindestmass an Kontrolle über die Ausbildung der Prediger und die Finanzierung der Moscheen. Die pluralistische Gesellschaft kann nicht anders, als dem Herrschaftsanspruch des totalitären Islamismus entgegenzutreten. Dazu gehört auch ein Verbot seines politischen Wahrzeichens.

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